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03.04.2020 • 12 min.

pretty artist portrait • Wilhelm Moser & David Colby • Teil 2

„Nur mein Tod ist meine Deadline“

Ein Gespräch mit David Colby und Willi Moser über eine analoge Welt mit schrägen Vögeln in einer wilden Zeit.

 

AW: Mit eurem Magazin „select“ seid ihr so gesehen der Vorgänger von LinkedIn gewesen. Das analoge LinkedIn.

WM: Ja, so könnte man das sagen. Und wir waren alle Freunde unter den Herausgebern der verschiedenen Magazine. Man kannte sich und hat Editorials geschrieben über die anderen Zeitschriften. Wir hatten auch Kontakt nach New York zu Andy Warhol. Der hat uns immer Material geschickt und so etwas. Das war ganz gut. Wir hatten alle Respekt voreinander.

DC: Wir waren wie so ein kleiner eingeschworener Club. Man rief sich gegenseitig an und fragte, wie hast Du Armani gekriegt als Anzeigenkunde? Kannst Du mir die Nummer geben? So was, weißt Du. Das war normal sich zu unterstützen.

AW: In einer euren Ausgaben war eine Fotoserie mit der jungen Claudia Schiffer – Guess Jeans.

DC: Genau. Diese Serie von Georges Massiano von Guess Jeans. Wir hatten dieses Hotel in Miami und er war da. Er hat dort ein Fotoshooting gemacht und plötzlich kam der Hurrikan Andrew. Massiano hat bis zum letzten Tag mit der ganzen Crew gearbeitet. Dann ist er schnellstmöglich mit seinem Privatjet abgereist und hat unsere englische Managerin mit Kind und Hund mitgenommen. Er hat unsere Angestellte evakuiert – sozusagen.

AW: Ein Hotel in Miami?

WM: Ja. Wir hatten ja ein bisschen Geld mit den Magazinen verdient und ein Editorial über Miami Beach gemacht. Dort sahen wir diese ganzen Art Decó Gebäude, die so langsam verfielen. Die Fotografen hatten diese „Filmstadt“ bereits für sich entdeckt und waren schon vor Ort. Es war eine tolle Kulisse sowie die Architektur, das Wetter war ideal, es war nicht teuer und das Licht immer schön. Und da dachten wir: So, dieses alte, runtergekommene Dingen „Century“ kaufen wir. In der Lobby stand eine alte Cola-Maschine. Der schöne Terrazzo-Boden war verdeckt von einem widerlichen Teppich. So Auslegeware.

DC: Es war ein Hotel für Shootings und Produktionen – quasi ein Production-Hotel. Du kriegst Frühstück um 6 Uhr morgens, Steamers und Co. Also alles, was Du brauchst für Fotoshootings. Man konnte bei uns wohnen und gleichzeitig arbeiten. Wir hatten auch eine Modelagentur „Clickmodels“ im Hotel als Mieter. Sie haben die Connection bei uns genutzt. Die Fotografen von select kamen alle zu uns. Teilweise konnte man in Miami Beach 200 Teams im Winter pro Tag sehen.

WM: Das hat sich später etwas verlaufen. Denn es gab natürlich ganz viele andere Hotels, die Imitationen von uns waren und so eine Struktur aufbauten. Eigentlich waren wir auch schon eine Imitation, da vor uns zwei Hotels das so gemacht haben. Karl Lall und Leslie. Und dann fing das auch an mit diesen Newscafés. Der ganze Oceanbereich hatte sich verändert, wurde immer teurer und wir fanden es nicht mehr so doll. Wir hatten noch ein Restaurant neben unserem Hotel aufgemacht: den Beachclub mit Fullmoon-Partys. Wir waren in der Zeit immer zwischen New York, Miami und Deutschland unterwegs.

AW: Was motiviert euch gerade?

WM: Wir haben sehr unterschiedliche Dinge auf der Agenda. David schreibt gerade sein Buch über seine Kindheit auf Barbados und wir gehen gedanklich schon die nächste Ausgabe von The Manipulator an. Das wird toll. Die letzte Ausgabe ist durch den Film entstanden, bei dessen Entstehung David eine Art Diplomatenrolle hatte.

AW: Du meinst „The happy Prince“ mit Rupert Everett. Kannst Du uns davon ein wenig erzählen oder ist das alles top secret?

DC: Das war eine sehr interessante Reise. Sieben Jahre waren das. Ich habe eigentlich erst ziemlich spät im Leben gelernt, wie man einen echten Film finanziert. Das war sehr interessant.

WM: Die Producer waren aus Deutschland von BBC und auch von Belgien und Italien. Und das Ganze hat David ein wenig koordiniert.

DC: Wenn man ins Kino geht und einen Film schaut, denkt man schon toll, aber wirklich diese Reise zu machen…da lernt man erst wie unheimlich schwer das ist. Die sind so kompliziert. Das hat mich fast umgebracht. Das war viel viel schwieriger als alles, was wir bisher in unserem Leben gemacht haben. 10 Mal schlimmer.

AW: Wie habt ihr Rupert kennengelernt?

WM: Wir kennen Rupert aus Miami. Er wohnte gegenüber von unserem Hotel in einem kleinen Apartment. Da hat er immer morgens Croissants bei uns gegessen zum Frühstück.

AW: Was das euer erster Kontakt zu ihm?

DC: Ne, eigentlich kennen wir ihn vom Love Ball in Paris von Susanne Bartsch. So 1990, glaube ich.

WM: Zu dieser Zeit hatten wir auch immer diese großen Silvesterpartys im Century Hotel. Da kamen die ganzen Designer wie Gaultier, Thierry Mugler, Montana…und die haben auch bei uns im Hotel gewohnt.

DC: Iman hatte das kleinste Zimmer, aber war ganz happy damit.

WM: Ja, sie war echt zufrieden in ihrem Zimmerchen. Sie war immer ganz lieb und bodenständig.

AW: Wie kann man sich eure Partys vorstellen?

WM: Wir hatten immer ein Thema. Ein Motto. Stone Age, Bauarbeiter Construction Party, Rome is Burning oder Putana Party. Die Kostüme der Designer waren toll. Thierry Mugler hat sich immer alles anfertigen lassen und kam als Zuhälter mit einem goldenen Zahn, Schlagenleder-Anzug, richtig gut gemacht.

DC: Das war aber nicht immer einfach – es wurde viel geklaut und Drogen genommen – auch vom Personal. Miami ist ein wenig Endstation gewesen.

AW: Woran erinnert ihr euch? Welche Gerüche verbindet ihr mit Miami?

WM: Ich erinnere mich an den parfümierten Kaffee. Der roch nach Haselnuss oder Zimt. Das machen die Amerikaner gerne. Es roch auch immer nach Meer. Das war schon schön.

DC: Ich erinnere mich an einen Morgen. Wir waren gerade dabei das Hotel zu verkaufen. Ich bin zum Newscafé gelaufen, um Zeitungen zu kaufen. Ich habe zu Gianni Versace „gute Morgen“ gesagt. Er wollte eine italienische Zeitung kaufen. Als ich zurück im Hotel war, klingelte das Telefon und man sagte mir, dass Versace erschossen worden sei – er ist tot. Und ich sagte „Das stimmt nicht, ich habe ihn vor 20 Minuten gesehen. Das ist eine Lüge.“ Es war aber wahr. Er ist von dem Newscafé zu Fuß nach Hause gegangen und wurde da erschossen. 5 Minuten später war er tot. Das war ein Schock für Miami. Das war das Ende einer Ära.

WM: Es ging aber nicht um das Thema Sicherheit. Richtig sicher war es dort nie.

DC: Das stimmt. Damals, als Miami wieder „in“ wurde, haben die Celebrities Schulter an Schulter mit den normalen und armen Kubanern gelebt. Man nennt das im englischen „Slumming it“. Das war sehr interessant und ein echter Melting Pot. Später waren alle Stars versteckt in ihren großen Häusern. Aber in dieser echten 10 Jahresphase konnte man abends in einen Nachtclub gehen und man sah Madonna mit einem jungen Kerl beim Fummeln. Sie hat auch bei uns im Hotel gefickt. Das war toll. Diese Zeit war aber nach dem Tod von Versace vorbei bzw. verschwand nach und nach.

AW: Ihr habt euch immer wieder neue Wirkungsstätten gesucht.

WM: Es hat sich bei uns meistens ergeben. Wir haben vieles nicht geplant.

DC: Oft waren das aber so Trends. Nehmen wir mal als Beispiel diese Art Magazin wie das select Magazin. Die waren sehr „in“. Es ist dann nicht mehr lange bis es „out“ ist.

WM: Deswegen haben wir das Hotel auch verkauft. Die Zeit war einfach vorbei. Wir hatten es 10 Jahre. Das ist aber auch wirklich das absolute Limit. Das Gefühl, wie es dort war, gibt es nicht mehr.

DC: Aber der beste Moment für Willi war folgender: Wir haben uns kennengelernt im Jahr 1979. Ich war auf Barbados und er auf Martinique. Er hatte sein ganzes Geld verloren im Casino. Alles. Er musste dann in einem Fischerboot schlafen. Er hatte glücklicherweise noch ein Ticket nach Barbados gehabt.

WM: Das habe ich heute noch.

DC: So ist Willi nach Barbados gekommen und dort haben wir uns kennengelernt. Er hat zu mir als erstes gesagt: Kannst Du mir 50 Dollar leihen bis mein Agent aus Deutschland in Düsseldorf mir Geld schickt.

WM: Nein, nein, nein. Ich sagte: Bis meine Eltern mir aus Düsseldorf Geld schicken.

DC: Nein, nein. Du hast gesagt „Dein Kunstagent“. Und ich fand das schick und dachte mir „Wer hat einen Kunstagenten?!“

WM: Ich habe Dir das Geld aber wieder gegeben. Ich war 5 Tage von Peru nach Brasilien unterwegs. Auf diesem Schiff waren 200 oder 300 Leute. Man musste eine Hängematte mitbringen. Das wußte ich aber nicht. Und ich lag da schon in einer Hängematte, als eine Frau kam und an die Matte klopfte. Sie sagte, das wäre ihre. Da musste ich oben auf dem Deck auf einer Holzbank schlafen. Am letzten Tag hat mir jemand eine aufblasbare Luftmatratze gegeben. Und obwohl all meine Sachen da lagen und die Menschen tagsüber dort unterwegs waren, hat nichts gefehlt.

DC: Das macht Willi immer glücklich, solch positive Erlebnisse. Er freut sich aber auch, wenn er einen Sonnenbrand bekommt. Das ist nicht normal. Er schläft zum Beispiel gerne in einem Bett mit Sand.

WM: Ach quatsch. Das war nur eine Zeit so.

DC: Wer macht so etwas?! Kannst Du Dir vorstellen glücklich zu sein, wenn man in einem sandigen Bett schläft?!

WM: Das war doch nur vom Strand. Ich habe gerne mal getrunken und da ist einem nachts egal, ob da Sand unter den Füßen oder so ist. Und da hatte ich auch gerne einen Sonnenbrand, weil Du fängst dann an sehr schön zu träumen. Das stimuliert irgendwie die Hirnzellen anders.

DC: Ach deswegen trinkst Du?

WM: Nein, wegen der Kombination.

AW: Woran arbeitet ihr aktuell?

WM: Jetzt schreibst Du erst einmal Dein Buch.

AW: Hast Du Dir eigentlich eine Deadline dafür gegeben?

DC: Nur mein Tod ist meine Deadline.

Dieser zweite Teil ist nur ein Auszug des gesamten Interviews, das an anderer Stelle komplett abgedruckt und zu lesen sein wird. Dazu später mehr.

Interview/Text: Anna Wischermann

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