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27.03.2020 • 11 min.

pretty artist portrait • Wilhelm Moser & David Colby • Teil 1

„Wir sind alle durch die Technik gleichgeschaltet worden. So eine Art Egokommunismus“

Wie viele Gerüchte kursierten damals in der Welt rund um die Künstlerszene in den 80er Jahren?! Es hatte etwas mystisches, aber es wirkte auch immer verrucht, exzentrisch und hemmungslos mit all dem Sex, Drugs and Rock´n´Roll. Wie war es wirklich? Oder gibt es einfach nur viele Wahrheiten? Zwei Zeitzeugen und Künstler, die es wissen, sind Wilhelm Moser (WM) und David Colby (DC). Ein Gespräch mit den Zweien über Dichtung und Wahrheit sowie kleine Anekdoten aus einer spektakulären, analogen Zeit voller Kuriositäten.

 

AW: Ihr habt die 80er Jahre als Künstler und Herausgeber erlebt. Nehmt uns mal ein Stück mit in die damalige Zeit.

WM: Das Magazin The Manipulator gibt es seit 1983. Das select Magazin haben wir ein wenig früher auf den Markt gebracht: 1981. Das Ganze hat enorm viel Spaß gemacht. Begonnen hat die Geschichte in Paris. Wir hatten dort eine kleine Bude und überlegt, wie können wir diese hohe Mieten hier bezahlen? Es war ja nur so eine blöde Idee…wir fangen einfach in Paris etwas an.

AW: Was habt ihr denn bis dahin in Paris gemacht?

WM: Bis dahin hatten wir nur Party gemacht. Wir sind einfach immer bis 4 Uhr nachts unterwegs gewesen. So war das damals. Aber das ging natürlich nicht immer so weiter. Man kann ja nicht immer auf der Tasche der Eltern liegen. Man muss irgendwann etwas tun. Und so kam die Idee mit den Zeitschriften, mit dem select Magazin.

AW: Gab es denn so etwas in der Art bereits auf dem Markt?

WM: Ja, es gab so trendy Magazine wie City und auch Egoïste kam gerade in dieser Zeit auf. So interessante Dinger. Und wir dachten uns, wir machen ein Magazin für Modelagenturen, also wo die Agenturen ihre neuen Köpfe vorstellen können. Ihre Newcomer. Es war aber eigentlich der falsche Ansatz. Wir hatten so ein paar Fotografen kennengelernt, die auch alle weg aus Deutschland sind, um nach Paris zu gehen. Die dachten immer, Paris sei das Paradies für Fotografie. War es ja auch für Mode vor allen Dingen. Da war dann Peter Kapellmann, Klaus Wickrat – alles so Figuren aus dieser Gegend hier. Die haben uns dann geholfen, dass das Heft auch für Fotografie als Showcase dienen könnte. Dann haben wir das frei verschickt an die Werbeagenturen und immer mehr Fotografen haben darin Seiten gebucht.

AW: Das select Magazin hatte sich also anfangs durch verschiedene Einflüsse weiter entwickelt und ihr habt es immer wieder den Marktbedürfnissen angepaßt?

WM: Genau, es war als Modelmagazin gedacht und klappte überhaupt nicht. Die dachten auch, die bekommen alles umsonst. Aber unsere Zeitschrift basierte auf Anzeigen, um sie zu finanzieren. Jeder Fotograf, der nach und nach dazu kam, hatte es in eine andere Richtung gelenkt und so kam das. Wir haben das Ganze in Deutschland bei der Michelpresse in Hamm gedruckt. Deutschland war unser Ankerpunkt, aber wir hatten nach und nach Büros in New York, London und Agenten in Mailand. Wir druckten 20.000 Exemplare. Die Null hatte 3.000 Exemplare. Wir haben sie sogar selbst verschickt. Briefmarken noch selbst angeleckt. Alles war analog.

AW: Ihr hattet auch ein Vertriebspärchen in Paris. Nehmt uns mal mit, wie ihr an die beiden gekommen seid.

WM: Sie hatten The Manipulator vertrieben. Das Heft haben sie mitgenommen auf die Modemessen und auch in den Szenecafés verteilt. Die beiden hatten immer die wichtigen Magazine so wie I.D., The Face, Egoïste, Decoris und Interview. The Manipulator war damals das größte Magazin der Welt.

DC: Pat und Marc waren quasi Celebrities. Sie haben die ganzen Leute wie Jean Paul Gaultier, Karl Lagerfeld und Thierry Mugler beliefert. Die beiden haben jeden Monat die Zeitungen an diese Personen gebracht. Sie waren mit allen befreundet und kamen dadurch auch bei den Modeschauen in die Hallen.

AW: Und wie kam der Kontakt zu den beiden zustande?

DC: Sie haben uns angerufen, weil sie The Manipulator mit in ihrem Sortiment haben wollten.

WM: Aber wir kannten sie auch schon vorher vom Sehen.

DC: Sie waren an jedem Abend unterwegs und haben die Magazine in trendigen Restaurants verkauft. Jeder kannte sie. Und in einem schönen Café hatten sie ihr Depot. Im Basement deponierten sie die 500-600 Magazine und sie fuhren diese mit Mopeds rum. Die beiden waren Klassiker.

AW: Gibt es so etwas noch heute?


WM:
Ich glaube nicht. Das waren die 80er Jahre. Das gehörte zur analogen Zeit, wo noch alles mit der Hand gemacht wurde.

DC: Das war auch eine anderen Zeit für die Zeitungen und Magazine. Es war sehr sehr wichtig, dass Du zum Beispiel in The Face Werbung gemacht hast und gesehen wurdest. Jeder Art Director hatte sie auf dem Tisch.

AW: Mit select seid ihr so gesehen der Vorgänger von LinkedIn gewesen. Das analoge LinkedIn.

WM: Ja, so könnte man das sagen. Und wir waren alle Freunde unter den Herausgebern der verschiedenen Magazine. Man kannte sich und hat Editorials geschrieben über die anderen Zeitschriften. Wir hatten auch Kontakt nach New York zu Andy Warhol. Der hat uns immer Material geschickt und so etwas. Das war ganz gut. Wir hatten alle Respekt voreinander.

DC: Wir waren wie so ein kleiner eingeschworener Club. Man rief sich gegenseitig an und fragte, wie hast Du Armani gekriegt als Anzeigenkunde? Kannst Du mir die Nummer geben? So was, weißt Du. Das war normal sich zu unterstützen.

AW: In einer euren Ausgaben war eine Fotoserie mit der jungen Claudia Schiffer – Guess Jeans.

DC: Genau. Diese Serie von Georges Massiano von Guess Jeans. Wir hatten dieses Hotel in Miami und er war da. Er hat dort ein Fotoshooting gemacht und plötzlich kam der Hurrikan Andrew. Massiano hat bis zum letzten Tag mit der ganzen Crew gearbeitet. Dann ist er schnellstmöglich mit seinem Privatjet abgereist und hat unsere englische Managerin mit Kind und Hund mitgenommen. Er hat unsere Angestellte evakuiert – sozusagen.

AW: Ein Hotel in Miami?

WM: Ja. Wir hatten ja ein bisschen Geld mit den Magazinen verdient und ein Editorial über Miami Beach gemacht. Dort sahen wir diese ganzen Art Decó Gebäude, die so langsam verfielen. Die Fotografen hatten diese „Filmstadt“ bereits für sich entdeckt und waren schon vor Ort. Es war eine tolle Kulisse sowie die Architektur, das Wetter war ideal, es war nicht teuer und das Licht immer schön. Und da dachten wir: So, dieses alte, runtergekommene Dingen „Century“ kaufen wir. In der Lobby stand eine alte Cola-Maschine. Der schöne Terrazzo-Boden war verdeckt von einem widerlichen Teppich. So Auslegeware.

DC: Es war ein Hotel für Shootings und Produktionen – quasi ein Production-Hotel. Du kriegst Frühstück um 6 Uhr morgens, Steamers und Co. Also alles, was Du brauchst für Fotoshootings. Man konnte bei uns wohnen und gleichzeitig arbeiten. Wir hatten auch eine Modelagentur „Clickmodels“ im Hotel als Mieter. Sie haben die Connection bei uns genutzt. Die Fotografen von select kamen alle zu uns. Teilweise konnte man in Miami Beach 200 Teams im Winter pro Tag sehen.

WM: Das hat sich später etwas verlaufen. Denn es gab natürlich ganz viele andere Hotels, die Imitationen von uns waren und so eine Struktur aufbauten. Eigentlich waren wir auch schon eine Imitation, da vor uns zwei Hotels das so gemacht haben. Karl Lall und Leslie. Und dann fing das auch an mit diesen Newscafés. Der ganze Oceanbereich hatte sich verändert, wurde immer teurer und wir fanden es nicht mehr so doll. Wir hatten noch ein Restaurant neben unserem Hotel aufgemacht: den Beachclub mit Fullmoon-Partys. Wir waren in der Zeit immer zwischen New York, Miami und Deutschland unterwegs.

DC: Wir sind ohne Ende gereist. Hin und her. Und man hatte ja kein Desktop-Publishing, sondern wir reisten mit Originalen der Fotos. Es gab auch kein Handy.

WM: Man war dann in London mit der Mappe voller Fotos und stand in der Telefonzelle. Wenn man Pech hatte, hat man die Mappe dort vergessen, war als man es merkte schon zwei Busstationen weiter und hatte Glück, wenn sie noch da stand.

DC: Das select war sehr viel Arbeit. The Manipulator war da ein bisschen eleganter. Und in der Zeit von select hat die Digitalwelt übernommen. Das hat mit Apple 2 C angefangen – mit Floppy Disc. Typesetting war woanders, man hat es in einem anderen Büro gemacht. Stefan hat alles im Querformat gescannt.

AW: Apropos Stefan. Wie habt ihr ihn kennengelernt?

WM: Er arbeitete in einer Lithographie-Firma. Daher kannten wir ihn auch. Dann haben wir ihn dort weggelockt und gesagt, dass er bei uns arbeiten könne. Wir hatten einen großen Lichttisch und da haben wir die Lithographie-Filme vom The Manipulator aufgeklebt mit Tesafilm. Das war eine lustige Zeit. Bis er irgendwann sagte, er müsse seine eigene Sache machen, ich kann das nicht mehr.

Der 2.Teil dieses Interviews folgt am 03. April 2020 – ihr könnt euch schon darauf freuen. Es gibt da viele spannende Einblicke in die Kindheitstage und Details zu einer Grande Dame, die eine wichtige Rolle in dem Leben der beiden Künstler spielte.

Interview/Text: Anna Wischermann

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